Beschaffung und SCM

  Supply Chain war gestern, es muss ein Supply Net werden!

 

 

28.04.2023 | Artikel von Jost H. Buthmann

 

JA, werden Sie sagen, das haben wir doch, unser Lieferantennetzwerk. Die wichtigsten Telefonnum-mern der Chefetagen unserer Lieferanten sind auf dem Handy des Einkaufsleiters, wir machen regelmäßige Lieferantenbewertungen und strafen die Schlechten ab, wir bewerten die Risiken für die Konformität mit dem Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz und kümmern uns um Nachhaltigkeit und CO2-Fußabdruck.

Okay sage ich, alles gut und richtig, aber das hangelt sich immer noch an der alten Supply Chain entlang. Die klassische Lieferkette ist eher sequenziell gebaut. Jeder Teilnehmer ist vor- und nachgelagert von den anderen Teilnehmern abhängig. In diesen Konstellationen ist es sehr schwer in Krisenzeiten parallel und breit gestreut nach Lösungen zu suchen. Wie die letzten Monate bewiesen haben, führt ein Abtelefonieren der Supply Chain doch nur bedingt zu brauchbaren Ergebnissen. Die einmal gerissene Supply Chain ist auch nur mit viel Aufwand und Ressourcen wieder herzustellen, wie in der folgenden Abbildung deutlich wird:

Abbildung 1: Supply Chain

 

Ihr Supply Net hingegen verbindet die Beschaffungsaktivitäten untereinander nicht nur mit den Lieferanten, sondern auch mit diversen Stufen der Vorlieferanten. Die Abläufe und Aktionen werden vorher gemeinsam abgestimmt und festgelegt. Das ermöglicht in Krisensituationen eine schnellere, effektivere und gleichzeitige Reaktion aller Beteiligten. Ihr Supply Net hält, auch bei einem Ausfall einzelner Teilnehmer. Somit bricht nicht gleich der komplette Ablauf auseinander, im Gegensatz zur Supply Chain. Ihr Supply Net federt die Störung ab. Die Erarbeitung von Alternativen und Lösungen läuft automatisch an und der Kunde, Ihr Einkaufsleiter, sitzt sprichwörtlich wie die Spinne im Netz und zieht die Fäden.


Der Gedanke Supply Net ist in der folgenden Abbildung skizziert und konkrete Praxisbeispiele folgen im Weiteren.

 

Abbildung 2: Supply Net

 

Denn, als sei das alles samt weltweitem Dauerkrisenmodus, Krieg in Europa, grassierender Inflation und gerissenen Lieferketten nicht schon genug, holt die Realität uns mit folgendem Beispiel unserer Mandanten wieder ein: Der Photovoltaik Installationsbetrieb hat es tatsächlich gewagt, bei seinem Großhändler nachzufragen, wann denn bitte die im Sommer und Herbst 2022 bestellten Komponenten geliefert würden?

Die Antwort kam prompt – Achtung bitte kein Scherz – Zitat: „…das wüsste man doch sicher selbst, weil man es nicht sagen könne. Die ständigen Nachfragen würden auch sehr nerven und sowieso seien die Hersteller schuld, die könnten ja schließlich nicht liefern…“. Hoppala, also dieselbe Frage an den dazugehörenden Hersteller gestellt und dann war die Fassung ganz weg. Die Antwort war mehr oder weniger dieselbe, mit der Nuance, dass der besagte Großhändler schuld sei, der hätte schließlich nicht sauber geplant.

Die Verantwortung wurde also munter hin und her geschoben, der Installationsbetrieb wird im Regen stehen gelassen und an den Endkunden, der das alles bezahlen soll, hat von den Zweien keiner gedacht. Wo bitte sind die falsch abgebogen, denn so eine Supply Chain braucht kein Mensch.

Das bleibt hoffentlich die Ausnahme und auch wir haben das genaue Gegenteil kennengelernt, z. B. in der SHK-Branche (Sanitär, Heizung, Klima). Der dazu gehörende Großhändler versteht und lebt ‚ge-meinsam‘, kommt und hilft bei Planung und Umsetzung der Projekte und rückt sogar mit technischer Unterstützung zur nächsten Messe an, um das Geschäft gemeinsam zu befördern. Es geht also auch so und das geht schon wieder in Richtung Supply Net.

Wenig überraschend wird die Thematik in einer aktuellen Studie aus Deutschland und Österreich (Prof. M. W. Exler, Prof. M. Situm, J. Bagari M. A., Kufstein) ebenfalls aufgegriffen. Dort empfehlen die Wissenschaftler ausdrücklich, die Risikobewertung der Wertschöpfungskette, die Diversifizierung der Lieferantenportfolios und die Digitalisierung der Prozesse – also den Aufbau eines Supply Nets – unbedingt in wirtschaftlich profitablen bzw. guten Zeiten voranzutreiben.

Das wiederum passt gut, denn auch wir Beschaffungsmanager/innen folgen seit langem einer Supply Net-Maxime, die lautet: idealerweise so viele Lieferanten und Lieferquellen qualifiziert und verfügbar zu haben, dass man in Krisenzeiten auch größere Mengen verschieben kann, in Deutschland, in Europa (Ost und West) und weltweit. Das ist leichter gesagt als getan, denn der eigene Verstand weiß doch längst, dass eine komplette Rückdrehung der Globalisierung nicht kommen wird. Der Kosten- und Zeitfaktor dazu entbehrt jeder Grundlage.

Also die Ärmel hoch und den Stier bei den Hörnern gepackt, denn wie wusste schon Seneca vor fast 2.000 Jahren: „Nicht, weil es so schwer ist, wagen wir es nicht, weil wir es nicht wagen, ist es so schwer!“ Wir müssen aus unseren Komfortzonen raus, raus aus unseren firmeninternen Silos, rein in Netzwerke und auf Plattformen, in das Supply Net, um dann Daten gemeinsam an der richtigen Stelle und zur richtigen Zeit zu nutzen.

Drei technische Ansätze, die gerade in Kombination dabei helfen Supply Net Strukturen effizient und erfolgreich zu etablieren, sind im Folgenden kurz beschrieben:

  • Blockchain stellt die Basis für einen sicheren Datenaustausch, durch Verschlüsselung, Schreib- und Leserechte sowie die Unverfälschbarkeit von Informationen dar. Sie ermöglicht Vertrauen und Zusammenarbeit. Beispielsweise lösen „smart contracts“ automatisch die Zahlung aus, wenn eine vorher definierte Aufgabe als abgeschlossen erkannt wird
  • Internet of Things (IoT), hier werden physische und virtuelle Gegenstände verbunden. Die vernetzten Sensoren übermitteln Daten für die Blockchain und deren Anwendungsfälle. So wird schon heute in Kühlcontainern die lückenlose und fachgerechte Kühlkette nachgewiesen
  • Künstliche Intelligenz (KI), an der scheiden sich zwar aktuell noch die Geister, aber spätestens seit ChatGPT Ende 2022 auftauchte, kann diese Entwicklung auch nicht mehr rückgängig gemacht werden. Durch KI können große Datenmengen analysiert und daraus Handlungsempfehlungen abgeleitet werden – die passende Kombination und Ergänzung zu den Daten aus IoT und den Aufgaben der Blockchain

 

Die Anwendung dieser Technologien wird heute schon erfolgreich praktiziert und greift bei den unten kurz beschriebenen Beispielen lösungsorientiert ineinander. Das sind konkrete Supply Net Strukturen:

  • TradeLens ist eine Plattform mit über 300 Mitgliedern wie Häfen, Logistikunternehmen und Finanzdienstleistern, die 2/3 aller weltweit bewegten Container erfasst und deren Mitglieder dort vollautomatisch Rechnungen, Frachtpapiere und Zolldokumente austauschen, d.h. hier werden automatisch und in Echtzeit Dokumenten- und Geldströme bewegt, ohne weitere Absprachen und nach vorher vereinbarten Abläufen und Regeln, das ist Supply Net
  • Golden State Foods beliefert Burgerbrater in den USA mit frischen und nicht wie üblich mit tiefgekühlten Burger-Patties. Dank Blockchain, IoT und KI wird das Objekt der Begierde lückenlos überwacht, vom Bauernhof bis zum Grill. Ermöglicht wird das durch den RFID-Chip. Die Echtzeitdaten kontrollieren Menge und Verbrauch und in der gesamten Lieferkette werden die Lagerbestände optimiert, das ist Supply Net

 

Die Beispiele zeigen eines ganz deutlich: der Technologiewandel und die Digitalisierung sind heute fast zu jeder Zeit und überall verfügbar und das notwendige Risikokapital steht auch ausreichend zur Verfügung. Das sind die perfekten Rahmenbedingungen, um Supply Net Strukturen abzusprechen und zu etablieren. An der Stelle wünscht man sich förmlich eine entsprechende Disruption in der eingangs beschrieben Elektro-Branche.

Wenn Sie diese Themen auch im Unternehmen wahrnehmen und angehen wollen, dann haben wir die Menschen und Methoden, die Werkzeuge und Instrumente, um gemeinsam Ihr Supply Net, das Be-schaffungsmarketing und das Lieferantenmanagement nachhaltig und gezielt zu entwickeln.

 

Ihr Ansprechpartner Jost H. Buthmann

Tel.: +49 (0 ) 6192 40 269 0
Email: jost.buthmann@anxo-consulting.com

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