Frankreich: Schlaglicht auf die Rentenreform

und weitere Perspektiven

 

 

28.04.2023 | Artikel von Steffen Helm

 

Diese Handreichung enthält einen Abriss und die Einordnung der aktuellen Ereignisse in Frankreich sowie eine Einschätzung der weiteren Entwicklung.

  • Die Rentenreform ist durch!
  • Was ist nun zu erwarten?
  • Weitere wirtschaftliche Perspektiven Frankreich: Konjunkturdaten, Beispiel: Arbeitslosigkeit

 

Die Rentenreform ist jetzt Gesetz:

E.  Macron hat am 16. März mit Hilfe eines in der Verfassung verankerten Sonderrechts der Regierung, das ermöglicht ein Gesetz ohne die Zustimmung des Parlaments zu erlassen, die Rentenreform durchgesetzt. Der Verfassungsrat hat am 14. April das Reformvorhaben zur Anhebung des Renteneintrittsalters von 62 auf 64 Jahre als verfassungskonform bestätigt.

Noch in derselben Nacht wurde das Gesetz überraschend schnell veröffentlicht und damit in Kraft gesetzt.

 

Politischer und wirtschaftlicher Kontext
E. Macron hatte bei seiner Wiederwahl im Mai 2022 die absolute Mehrheit verloren und ist seitdem für seine letzte Amtszeit (er kann nicht mehr gewählt werden) auf wechselnde Koalitionen angewiesen.

Die gestalten sich schwierig, die gemäßigte Mitte und die Konservativen, sind ihm gerade bei der Rentenreform nicht wie erwartet gefolgt. Die linken und rechten Ränder waren einheitlich gegen die Reform.

Mit Verzögerung u.a. aufgrund der Coronakrise wollte E. Macron jetzt endlich sein Wahlversprechen einlösen und während seiner letzten Amtszeit weitere Reformen vorantreiben, um nicht als „lame duck“, sondern als „Reformator“ in die Geschichte einzugehen.

 

Sozialer Kontext:
Die Rentenreform beinhaltet außer der symbolträchtigen Anhebung der Altersgrenze von 62 auf 64 Jahre u.a. auch die Abschaffung berufsspezifischer Privilegien (öffentlicher Dienst, Transportwesen) mit dem Ziel ein einheitliches Rentensystem zu erreichen.

Wie erwartet wurde dies von einer Mehrheit der Franzosen als ungerecht empfunden und löste Widerstand in der Bevölkerung aus. Vor dem Hintergrund des massiven Anstiegs der Lebenshaltungs-kosten startete eine Streikwelle, die immer breiteren Zulauf erhielt. Die Notwendigkeit einer Rentenreform, die auf der Hand liegt, wurde meines Ermessens von der Regierung nur unzureichend vermittelt und schlecht erklärt.

 

Was passiert nun?

Die Gewerkschaften, die zu Beginn der Debatten noch uneinig waren, schafften schließlich den Schulterschluss. Selbst die beiden gemäßigten und ursprünglich reformwilligen Gewerkschaften haben sich von E. Macron abgewendet. Sie haben geschlossen zu massiven Protestmärschen am 1. Mai aufgerufen und seine Einladung zu weiteren Gesprächen ausgeschlagen.

E. Macrons Fernsehansprache vom 17. April hat an den bestehenden Fronten nichts geändert.
Zwischenzeitich sind die Streiks / Demonstrationen landesweit abgeebbt.

Die Premierministerin E. Borne hat gerade die Vorgaben für das Budget 2024 verkündet und ihre Minister in die Verantwortung genommen: Sie fordert für jedes Portefeuille mindestens 5% Kosteneinsparungen, um Spielräume für die Umsetzung der vorrangigen „transition écologique“ freizumachen.

Die Wachstumsprognose der französischen Regierung für 2024 beträgt 1%.

Wirtschaftsminister Bruno Le Maire betont, meines Erachtens zurecht, die Bedeutung von Reformen und Einsparungen für die Glaubwürdigkeit Frankreichs, dessen Credit Rating und der damit verbundenen Zinslast. Dies ist zweifellos vor dem Hintergrund der hohen Staatsverschuldung Frankreichs, die 2022 auf 110% des BIP angestiegen ist, von zentraler Bedeutung.

Wir sehen hier sehr deutlich den Effekt der staatlichen Abfederungsmaßnahmen während der Coronakrise und dann der steigenden Energiekosten durch den Ukraine-Krieg.    

Die folgende Grafik zeigt die Staatsverschuldung inkl. der Prognose für 2024, im europäischen Vergleich.

Abb. 1: European Economic Forecast Autumn 2022 (EU-Kommission, 2022)2

 

Weitere Perspektiven Frankreich: Konjunktur und Arbeitslosenquote

Die monatliche Konjunkturumfrage der Banque de France1 zum Quartalsende (Q1/2023) belegt, dass die Lage in Frankreich besser ist als sie, etwas verzerrt vor dem Hintergrund der Bilder von Streikenden und Müllbergen, erscheint.

Nachfolgend eine Auswahl relevanter Kernaussagen dieser Umfrage:

1. Die Wirtschaftsaktivität in Frankreich zeigte sich im 1. Quartal 2023 robust und verzeichnete im März 2023 einen Anstieg im Industrie- und Dienstleistungssektor sowie im Baugewerbe.

  • Transport- und Lagerdienstleistungen schrumpften im März weiter und litten unter den Auswirkungen der Streikwelle in Frankeich
  • Die Lieferschwierigkeiten haben sich sowohl im Bau- als auch im Industriesektor reduziert
  • Die Rohstoffpreise werden als stabil angegeben, sie variieren jedoch relativ stark je nach Industriezweig
  • Im Industriesektor hat sich die Liquiditätslage erneut verbessert, im Dienstleistungssektor jedoch verschlechtert, insbesondere im Gaststättengewerbe
  • Die negativen Auswirkungen der gestiegenen Energiepreise auf die Geschäftstätigkeit sind gesunken und haben sich auf 30% eingependelt
  • Die Meinung zur Auftragslage in der Industrie ist stabil, mit vollen Auftragsbüchern (z.B.: Automobil, Luftfahrt)

Für April 2023 rechnen die Unternehmen mit einem weiteren Anstieg der Aktivität im Industrie- und Dienstleistungssektor, die Baubranche wird jedoch rückläufig erwartet

 

2. Die gute Entwicklung der Arbeitslosenquote (siehe Grafik: Vergleich mit Deutschland)

  • Die Arbeitslosigkeit bewegt sich weiterhin auf deutlich höherem Niveau als in Deutschland, ist jedoch seit 2017 stetig gesunken und befindet sich aktuell auf dem niedrigsten Stand seit fünfzehn Jahren.

    Gründe dafür sehe ich u.a. in den erfolgreichen Reformen zur Flexibilisierung des Arbeitsmarktes sowie die Verbesserung des Ausbildungssystems mit deutlich mehr Lehrlingen.

    Letzteres hat einen positiven Einfluss auf die chronisch hohe Jugendarbeitslosigkeit in Frankreich.
     
  • Die Schwierigkeiten bei der Rekrutierung von qualifiziertem Personal besteht hier genauso wie in Deutschland. Die Hälfte aller Industrieunternehmen klagt darüber.

    Ich sehe die Anhebung der Altersgrenze von 62 auf 64 Jahre als eine echte Chance den Fachkräftemangel zu lindern. Hier muss allerdings auch ein Umdenken in den französischen Unternehmen stattfinden und erfahrene Mitarbeiter weitergebildet werden, um sie zu halten.

Abb. 2: Vergleich der Arbeitslosenquote Deutschland – Frankreich (Eurostat)

 

 

 

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