Virtual Selling

Der "Augenblick" als emotionale Herausforderung

 

27.04.2021 | Artikel von Dr. Christian Kühl

 

Der erste Eindruck zählt, das souveräne Auftreten zeigt Entschlossenheit, die Kleidung ist geschäftsmäßig, der Präsentationsstil wirkt überzeugend, Mimik und Gestik unterstreichen das Gesagte und Essen sowie Getränke schaffen eine besondere Atmosphäre für ein persönliches Kundengespräch. Der erfolgreiche Verkäufer und Vertriebler von Lösungen und Produkten wurde über viele Jahrzehnte für diese Momente klassisch geschult und trainiert.

Es kam im wahrsten Sinne auf den Augenblick an.  

Das Auge ist mit einem Anteil von etwa 90% das wichtigste Sinnesorgan zur Aufnahme von Informationen in einem persönlichen Treffen. Diese Informationen werden über den Sehnerv zu 100% in den emotionalen Gehirnteil übertragen. Dieses gilt auch für Männer, die den Teil des Gehirns oft übersehen wollen. Dort werden dann positive Emotionen (z. B.: Interesse zeigen, erfreut sein, positiv überrascht sein, zugeneigt sein u. a.) ausgelöst. Diese Vorgänge geschehen zu mehr als 98% unterbewusst. [1]

Viele Begriffe und Redewendungen sind mit den Sinneswahrnehmungen durch die Augen verbunden: „Aus dem Auge aus dem Sinn“, „Augenblicklich geht es nicht“, „Sich etwas nochmals vor Augen führen“, „Augenscheinlich“, „Darf ich Ihr Augenmerk nochmals auf folgenden Punkt lenken?“.

Das Auge spielt somit eine für jeden Kundenkontakt sehr wichtige Rolle.

Dieses erklärt natürlich auch den exorbitanten Anstieg und den Erfolg der Videokonferenzanbieter in allen Bereichen. Wir wollen den Anderen gerne sehen und uns ein Bild von ihm und seiner Situation machen. Die Ergebnisse und Nebeneffekte dieses Videokonferenzen-Hypes sind auch im Vertrieb vielversprechend. Es zeigt sich, dass durch den virtuellen Verkauf die Vertriebseffizienz von Kundengesprächen allein durch den Wegfall von Reisezeiten gesteigert werden konnte. Die Vertriebsteams hatten bei dieser Form der Zusammenarbeit mit Käufern jedoch die Herausforderung, auf neue Art und Weise ein tieferes Verständnis für die Käuferprobleme zu entwickeln. Grundsätzlich hat die Pandemie es Vertriebsteams ermöglicht, den Verkaufszyklus zu komprimieren und zu verkürzen, woraus sich eine große Chance für Unternehmen ergibt.

Aber wenn wir auf 2021 und 2022 schauen und darüber nachdenken, wie wir als Vertriebsorganisation erfolgreich sein können, müssen wir uns auch fragen:

  • Wie bereit sind unsere Vertriebsteams, diese Art des virtuellen Verkaufens langfristig anzunehmen?
  • Wie bereit sind auch unsere Vertriebsleiter und Geschäftsführer, diese Art des virtuellen Verkaufens langfristig hinzunehmen?

 

Für diese Art des virtuellen Vertriebs gibt es bereits viele Ratgeber und Trainingsmöglichkeiten. Zahlreiche Analysen und Messungen zeigen jedoch, dass es in einigen Bereichen noch einen erheblichen Nachholbedarf beim Training zwischen klassischen und virtuellen Präsentatoren gibt.

Eine ganz große Bedeutung werden hier weiterhin alle Themen haben, die mit dem Augenkontakt zu tun haben.

Beispielhaft sei der Laptopeinsatz genannt. Während der „Klassiker“ gelernt hat, mit dem Kunden im Meetingraum „auf Augenhöhe zu kommunizieren“, hat der „Virtuelle“ im virtuellen Meetingraum den Kunden oft nicht „in seinem Blickfeld“, einen „schrägen Blickwinkel“ und oft sogar über lange Zeit gar keinen „direkten Augenkontakt“. 

 

Warum ist das so?

Die Gründe sind leicht ersichtlich, wenn man sich ein typisches Homeoffice (Abb. 1) anschaut. Der Mensch passt sich hier den Vorgaben des Laptops an.


Abb. 1: Laptopeinsatz auf dem Tisch im Homeoffice

 

Eine kleine technische Veränderung und schon findet das Gespräch mit dem Kunden wieder „auf Augenhöhe“ statt.


Abb. 2: Laptop mit ergonomischem Laptopständer auf dem Tisch im Homeoffice

 

Eine ähnliche Wirkung hat der zweite Bildschirm, der oft neben dem Laptop im Homeoffice oder auch im Büro zum Einsatz kommt. Viele Präsentatoren schauen aus Gründen der Lesbarkeit auf den größeren Bildschirm, während die Kamera des Laptops eine schöne Seitenansicht des Vortragenden vermittelt.

Man stelle sich die emotionale Wirkung eines „Klassikers“ vor, der während seiner Präsentation und seines Gesprächs mit dem Kunden immer aus dem Fenster auf den Parkplatz schaut. 

 

Was können Sie als Unternehmen sofort in diesem Bereiche tun, um beim virtuellen Verkauf auch langfristig „auf Augenhöhe zu bleiben“?

  • Überprüfen Sie die heutige Wahrnehmung Ihres Vertriebsteams und Ihrer Führungsmannschaft bei dem nächsten internen Vertriebsmeeting.
  • Nehmen Sie an den nächsten virtuellen Kundenmeeting teil und halten Ihre Eindrücke fest. 
  • Sorgen Sie im Homeoffice und in der Firma für die notwendige virtuelle Ausrüstung des Vertriebsteams
  • Videokonferenzen bedürfen ähnlich einer Fernsehsendung einer anderen Vorbereitung (Regiebuch, Skripts, Zeitplan und Rollenverteilung). Wie ist dieses heute organisiert?
  • Üben Sie mit dem Vertriebsteam den kontinuierlichen Blick in die Kamera (Fokus auf den Kunden) oder lassen Sie dieses üben. 
  • Wer auf der Bühne steht, hat zumeist geprobt und eine Generalprobe gemacht.
  • Offenes Feedback ist wichtig und kann ein Geschenk sein. Geschenke bringen Augen zum strahlen
  • Sie können dieses Feedback natürlich auch durch Dritte einholen, das ermöglich einen neutralen Blick auf die virtuellen Auftritte des Vertriebs.

 

Kunden und Vertrieb haben mit Emotionen zu tun. Deshalb sollte es „augenscheinlich“ eine gute Idee und ein Leichtes sein, diese besonderen Sensoren auch im virtuellen Vertriebsgeschehen fokussiert einzuschalten, situationsgerecht zu trainieren und erfolgreich zu nutzen.

 

 

Quellen

[1] Vgl.: D. Kahneman, Schnelles Denken, langsames Denken (2017), Penguin Verlag, S. 44ff u. 58ff

 

 

Ihr Ansprechpartner Dr. Christian Kühl

Tel.: +49 (0) 6192 40 269 0
E-Mail: christian.kuehl@anxo-consulting.com

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