Vom Reagieren zum Steuern

Wie Künstliche Intelligenz das Replenishment im Handel verändert

06.12.2025 | Artikel von Jost H. Buthmann

Wo steht der Handel heute?

Der Einkauf im Handel steht spürbar unter Druck. Lieferzeiten schwanken, Logistikkosten sind volatil, Nachfragespitzen verschieben sich – doch die Kunden erwarten dauerhafte Verfügbarkeit. Replenishment, also die Wiederauffüllung von Beständen, entscheidet damit direkt über Effizienz und Wettbewerbsfähigkeit: Zu spät bestellt heißt leere Regale, zu früh bindet Kapital und erhöht Abschriften auf die Überbestände.

Viele Teams arbeiten trotz moderner Software noch immer stark erfahrungsgetrieben – das ist wertvoll, aber stößt an Grenzen bei wachsender Sortiments- und Prozessvielfalt. Genau hier verstärkt KI gute Entscheidungen: Sie verdichtet Bestellhistorien, Lieferzeiten, Abverkäufe, Aktionen und externe Einflüsse zu täglich besseren Vorschlägen. In dieser Kombination von KI & MI (Menschliche Intelligenz) wird die Beschaffung von der Feuerwehr im Engpass zum Navigator und Richtungsgeber.

Im Folgenden ein paar Anwendungsfälle wie KI im Handel helfen kann das Replenishment zu verbessern.

Wenn Erfahrung auf Daten trifft
Mehrwert entsteht, wenn Erfahrungswissen mit datenbasierten Hinweisen verschmilzt. Der Tag startet nicht mit mühsamer Datensuche in verschiedenen Anwendungen, sondern mit einem klaren Bild zur aktuellen Lage: Was sind die kritischen Artikel, wo die verspäteten Lieferungen, welche umschichtbaren Reserven habe ich. Statt pauschaler Sicherheitsaufschläge berechnet das System je Artikel, Standort und Serviceziel einen passgenauen Puffer.

Nachfrageprognosen
KI erkennt wiederkehrende Abverkaufs Muster, Wochentags Effekte, Aktionen und Saisonalität. Daraus entstehen kurzfristige und mittelfristige Bedarfsprognosen je Artikel und Standort – kontinuierlich aktualisiert mit Verkäufen, Logistik-Feedback und Lieferbestätigungen.

Dynamischer Sicherheitsbestand, samt Anomalie-Erkennung
Der Puffer passt sich laufend an Nachfragevolatilität und Lieferzuverlässigkeit an. Wird ein Lieferant unpünktlicher oder die Nachfrage volatiler, steigt der Bestand gezielt; bei Stabilität sinkt er wieder. Das System markiert Ausreißer – z. B. Sprungbestellungen, Stornowellen oder fehlerhafte Einheiten – begründet die Einschätzung und schützt Bestellvorschläge vor Verzerrungen. Gespräche mit Lieferanten werden faktenbasiert mit belastbaren Kennzahlen. Und quasi nebenbei sinkt der manuelle Prüfaufwand bei höherer Qualität.

Bewertung von Lieferantenrisiken mit Frühwarnsystem
Aus Termintreue, Qualität, Transportmeldungen und öffentlichen Quellen entsteht ein Risikowert je Lieferant. Überschreitet er Schwellen, empfiehlt das System Splitting, Alternativquellen oder temporär höhere Sicherheitsbestände – Versorgungssicherheit wird somit planbar und nicht mehr nur reaktiv.

Automatisches Verarbeiten von Bestellungen und Lieferdokumenten
Software liest E-Mails, Dokumente und strukturierte Dateien, erkennt Abweichungen und gleicht sie mit Stammdaten ab. Unkritisches wird automatisch geklärt; nur Relevantes landet vorbereitet im Einkauf. Ergebnis: kürzere Durchlaufzeiten und Fokus Disponenten, die sich auf wirksame Entscheidungen konzentrieren.

Wie aber gelingt ein guter Einstieg in die KI

Die größten Einwände gegenüber Künstlicher Intelligenz sind erfahrungsgemäß immer gleich: fehlende Datenqualität, fehlende Zeit und die Sorge um den Datenschutz.

Das Datenproblem
Datenlücken sind oft weniger dramatisch. Lernende Systeme können Unschärfen markieren und dennoch Trends erkennen. Wichtig sind saubere Artikelstammdaten, klare Einheiten und eine kurze Historie von Verkäufen und Liefermeldungen – wenige Monate genügen dazu.

Zeit als limitierender Faktor
Der Einstieg erfolgt schlank: keine umfassende Transformation, sondern ein fokussierter Sprint mit einem überschaubaren Sortiment (z. B. umsatzstarke, planbare Artikel). Dann wird die Wirkung messbar und transparent: Bestandsentwicklung, Lieferfähigkeit und eingesparte Dispo-Stunden. Erst mit messbaren Erfolgen wird skaliert.

Datenschutz
Seriöse Umsetzungen erfüllen EU-Vorgaben, definieren Speicherort und Zugriffsrechte und erklären jede Empfehlung. Bei Bedarf läuft ein Modell lokal. So entsteht Vertrauen im Management, im Einkauf und im Supply Net.

Was sich durch KI wirklich verändert

Replenishment wird vorausschauend. Entscheidungen werden schneller, Risiken werden sichtbarer und das gute Erfahrungswissen erhält datenbasierte Rückendeckung. Aus Regeln und Kompromissen entsteht ein lernendes System, das Veränderungen früh erkennt und Zusammenhänge offenlegt. Der Schlüssel zum Erfolg ist organisatorisch: Bauchgefühl konsequent mit Daten spiegeln, kleine Schritte messen und die Erkenntnisse nutzen. Das führt zu sachlicheren Diskussionen, konstruktiverer Lieferantenarbeit und mehr Zeit für echte Gestaltung: Sortiment, Verhandlungen, Partnerschaften.

Umsetzungspfad – von Experiment bis zur professionellen Anwendung

1. Einstieg mit generativer Unterstützung
Generative KI erklärt bestehende Berichte, benennt Auffälligkeiten („Artikel X läuft schneller als erwartet“) und beschreibt Vorschläge – ohne operative Systeme zu verändern. Das Team lernt Denk- und Sprachmuster der Maschine risikolos kennen.

2. Datenanalyse mit lernenden Mustern und automatisierte Dispo
Im nächsten Schritt fließen historische Verkaufs-, Liefer- und Bestandsdaten in ein lernendes Modell, das Nachfragemuster erkennt, Lieferzeiten bewertet und Bedarf simuliert. Ergebnisse erscheinen als Handlungsempfehlungen beratend im Dashboard; technisch gesehen reichen Datenexporte plus eine einfache Schnittstelle für tägliche Updates.

Die stabilen Prognosen werden von der KI in konkrete Vorschläge übersetzt, die der Mensch bestätigt oder korrigiert – jedes Feedback schärft das Modell. Der Effekte: weniger Fehl- und Überbestände, mehr Transparenz.

3. Vernetzte Steuerung über Standorte hinweg
Die KI denkt über einzelne Artikel hinaus und optimiert standortübergreifend: berücksichtigt dabei Transportzeiten, Lager und Risiken, erkennt Umlagerungspotenziale, priorisiert Lieferungen und steuert entlang des Supply Nets. Dazu werden operativ die Warenwirtschaft, Lagerverwaltung und das Transportwesen gekoppelt.

4. Professionelle Replenishment-Lösung mit KI-Kern
Spezialisierte Plattformen vereinen Prognose, Bestandsoptimierung, Risikoanalyse und Dokumentenverarbeitung. Erklärbare Modelle begründen Entscheidungen; Standard-Schnittstellen binden ERP und Lieferantenportale an. Der Aufwand liegt weniger in der Technik als in der Integration. Prozesse müssen klar definiert, Datenqualität gesichert und Verantwortlichkeiten abgestimmt sein. Der Effekt: automatisierte, transparente Steuerung in Echtzeit – vom Einkauf bis zur Filiale, dem Kunden oder gar dem Konsumenten.

Software zum Kaufen

Wer KI-gestütztes Replenishment einführt, findet ausgereifte Systeme mit unterschiedlicher Tiefe und Ausrichtung. Deren Auswahl sollte stets zur eigenen Organisation passen.

RELEX Solutions
Umfassende Handelsplattform: vereint Nachfrageprognose, automatische Wiederbeschaffung und Netzwerkoptimierung. Analysiert Verkaufs-, Liefer- und Standortdaten in Echtzeit und schlägt Verteilungen zwischen Filialen und Lagern vor, um Verfügbarkeit und Kapitalbindung auszubalancieren.

ToolsGroup SO99+
Selbstlernende Modelle erfassen Nachfrage- und Lieferunsicherheiten, passen Sicherheitsbestände dynamisch an und optimieren mehrstufige Netze. Jede Abweichung schärft Prognosen und Servicegrade.

Slim4 (Slimstock)
Pragmatische Digitalisierung des Bestandsmanagements: statistische Verfahren plus lernende Algorithmen liefern konkrete Dispositionsvorschläge. Fokus auf Nachvollziehbarkeit, inklusive Einflussfaktoren und direkter Eingriffsmöglichkeit.

EazyStock (Syncron)
Schneller Einstieg via Standardschnittstellen ins ERP. Analysiert Verbräuche und Lieferzeiten und schlägt Bestellmengen sowie Zyklen vor – besonders geeignet für den Mittelstand.

INFORM ADD*ONE
Kombiniert Optimierung, KI und Heuristiken. Berechnet je Produkt und Standort optimale Bestände, berücksichtigt Risiken und Lieferzeiten und erlaubt manuelle Eingriffe – präzise und transparent zugleich.

Diese Auswahl zeigt die Bandbreite von leichtgewichtigen Lösungen bis zu integrierten Plattformen. Vor einer Entscheidung sollten fachliche, technische und organisatorische Passung sorgfältig geprüft werden.

 

Wenn Sie diese Themen auch im Unternehmen wahrnehmen und angehen wollen, dann haben wir sowohl die Menschen und Methoden als auch die Werkzeuge und Instrumente, um gemeinsam Ihr Supply Net, das Beschaffungsmarketing und das Lieferantenmanagement nachhaltig, gezielt und auch mit KI zu entwickeln.

Ihr Ansprechpartner

Jost H. Buthmann ist Partner bei der ANXO

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